Die Monarchie war die vorherrschende Verfassungsform im Europa des 19.
Jahrhunderts und lebt heute vornehmlich als parlamentarische Monarchie in einem
halben Dutzend europäischer Staaten fort. Angesichts zunehmender
Säkularisierung, Verbürgerlichung, Bürokratisierung und Nationalisierung
sprachen Historiker lange Zeit von einem stetigen Niedergang der Monarchie. In
jüngster Vergangenheit indes argumentiert die Forschung, dass sich Europas
Könige im sogenannten langen 19. Jahrhundert neuer Legitimationsstrategien
bedienten. Dadurch sicherten sich die europäischen Monarchien ihr Bestehen bis
zum epochalen Einschnitt der Weltkriege und einige auch darüber hinaus.
Mit dieser Neubewertung erlebte die Erforschung europäischer
Monarchien eine Renaissance innerhalb der Geschichtswissenschaft, wobei die
Untersuchung höfischen Zeremoniells und monarchischer Repräsentation besondere
Aufmerksamkeit erfuhr. Das Akademienvorhaben leistet einen Beitrag zu dieser
modernen Monarchieforschung des 19. Jahrhunderts. Es bündelt bisherige Impulse
und leistet eine grundlegende quellenbasierte Erschließung des Forschungsfeldes
anhand des preußischen Beispiels unter dem zentralen Zugriff auf „Praktiken der
Monarchie“.
Das Projekt entschlüsselt am preußischen Beispiel die Symbolik der Monarchie in
ihrem späten Stadium mit der Besonderheit, dass es Verfassungsgeschichte und
Kulturgeschichte des Politischen verknüpft und der Forschung bislang ungedruckte
Dokumente bereitstellt. Auf dieser neuen Grundlage kann die These von der
Anpassung der Monarchie an den gesellschaftlichen und politischen Wandel des 19.
Jahrhunderts auf vielen miteinander verbundenen Ebenen überprüft werden.
Ausgangsüberlegung dabei ist, die repräsentativ-symbolische Sphäre der Monarchie
nicht als Gegenwelt der Politik, sondern als ihr innewohnend zu verstehen. Der
Untersuchungszeitraum umspannt die Zeit nach dem Tod Friedrichs II. im August
1786 bis zur Abdankung Kaiser Wilhelms II. im November 1918.
Bislang gilt die Geschichte der Hohenzollernmonarchie nach 1786
quellenmäßig als nur punktuell erschlossen und als empirisch unzureichend
erforscht. Das preußische Beispiel eignet sich indes zur Beantwortung auch
zentraler Fragestellungen, bildet es doch einerseits die Entwicklungen im
monarchischen Europa des 19. Jahrhunderts exemplarisch ab und weist es
andererseits auch einige Besonderheiten auf, die es für komparatistische
Untersuchungen fruchtbar macht. So waren im friderizianischen aufgeklärten
Absolutismus bereits die konzeptuelle Trennung von Staat und Monarch angelegt
und der Gedanke des Gottesgnadentums ausgehöhlt; Friedrichs Nachfolger befanden
sich in einem dauerhaften Spannungsverhältnis mit dem Konstitutionalismus, wobei
sie sich mit der oktroyierten Verfassung von 1848/50 eine vergleichsweise starke
politische Rolle innerhalb der konstitutionellen Monarchie sicherten. Ebenfalls
typisch für Preußen ist die spätere potenzielle Dichotomie zwischen einem nicht
nationalen preußischen Staat und den Funktionen eines zunehmend nationalen
Hofes.
Das Vorhaben thematisiert in einem ersten Modul die höfischen Strukturen und
monarchische Herrschaftspraxis in Preußen. Es werden die Amtsorganisation und
Finanzierung des Hofes herausgearbeitet sowie die königlichen Kabinette, die
persönlichen Arbeitsstäbe des Monarchen, genauer beleuchtet. Zwei darauffolgende
Module werden sich den repräsentativen und politischen Dimensionen monarchischer
Herrschaft sowie den Strategien und Reaktionen der preußischen Monarchie
gegenüber dem gesellschaftlichen Wandel zuwenden.
Die Forschungsergebnisse des Akademienvorhabens fließen in zwei
eigenständige, stark miteinander verwobene Publikationen: eine zwölfbändige
„Themen“-Quellenedition archivischen Materials sowie eine digitale, teilweise
interaktive Präsentation von „Kontexten“, die eigens aus den Quellen erhobene
Forschungsdaten darbieten.
Die zwölfbändige Grundlagenedition,
die
im Verlag Brill|Schöningh als 3. Reihe der ACTA BORUSSICA Neue Folge
erscheint, erschließt bislang ungedruckte Quellen zur
Geschichte der preußischen Monarchie. Zentrales Kriterium für die Auswahl der
Quellen ist dabei die Frage nach der Anpassungsleistung der Monarchie an die
sich wandelnde Gesellschaft im langen 19. Jahrhundert. Zugleich versteht sich
die Quellenedition als Referenzwerk für die internationale komparatistische
Forschung zur Monarchie. Deshalb finden hauptsächlich Quellen preußischer
Provenienz Eingang in die Editionsbände; bei einigen Themenbänden wird auch
aussagekräftiges Material außerpreußischer Provenienz einbezogen, etwa aus
diplomatischen Korrespondenzen ausländischer Höfe. Das Editionsvorhaben kann
dabei nicht auf einen homogenen, in sich geschlossenen Quellenbestand
zurückgreifen, sondern führt vielmehr aus verschiedenen Beständen
aussagekräftige Quellenstücke in den Themenbänden zusammen. Diese Bestände
befinden sich hauptsächlich im Geheimen Staatsarchiv
Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem (GStA PK), das auch die
Reposituren des Brandenburg-Preußischen Hausarchivs (BPH) bewahrt.
Neben der Quellenedition zu zwölf „Themen“ erhebt das Akademienvorhaben aus
zahlreichen archivalischen Beständen weitere Forschungsdaten, die auf der
Website in fünf „Kontexten“ zugänglich gemacht werden. Mit Hilfe dieser Kontexte
können spezifische Forschungsfragen bearbeitet bzw. Forschungsdesiderate
aufgefüllt werden. Die Adjutantenjournale vermitteln für den langen Zeitraum von 1819 bis
1913 Einblicke in den Alltagskalender des Monarchen und die spezifischen
Praktiken einer Monarchie. Zudem erstellen sie mit ihren oft ausführlichen
Tageseinträgen ein Bild über die jeweiligen Personennetzwerke. Die Biogramme von preußischen Hof- und Kabinettsbeamten erschließen
prosopographisch „Hof“ und „Kabinett“ als Akteure der Monarchie. Zusätzlich
werden in Kooperation mit dem GStA PK für zahlreiche Hofbeamte und weibliche
Angestellte Identifikationsnummern der Gemeinsamen
Normdatei (GND)vergeben, wodurch die erfassten Personendaten über das
Akademienvorhaben hinaus der Forschung zur Verfügung stehen und für andere
Projekte anschlussfähig sind. Ferner wird auf dieser Website ein Hofkalendarium geführt, in dem zentrale Ereignisse wie auch
alltägliche Begebenheiten des preußischen Hoflebens nachschlagbar sind. Dies
dient der Erschließung der monarchischen Repräsentationskultur sowie der
höfischen Praktiken in chronologischer und geographischer Perspektive. Die Organigramme visualisieren die Struktur des Hofes und stellen für
einzelne Hofstaaten schematisch die Hierarchie der Ämter und Behörden sowie
deren Amtsinhaber/innen dar. Die Wohntopographie schließlich widmet sich dem Phänomen der Anpassung
der Monarchie anhand einer sozial-geographischen Perspektive: Indem die
Wohnadressen der Hofbeamten in Berlin lokalisiert werden, lassen sich Aussagen
über die Ausbreitung des Hofes im räumlichen und sozialen Gefüge der
Residenzstadt treffen.
Alle fünf „Kontexte“ verarbeiten in großer Menge
Daten verschiedenster Art und sind auf dieser Website über die sechs Register
(Personen, Orte, Einrichtungen, Werke, Höfe, Ämter) miteinander verknüpft.